Ein Zweiradfahrer mit einem elektrisch unterstützten Fahrrad, einem so genannten Pedelec, überquert an einer Kreuzung von rechts schräg eine Straße nach links um eine Einfahrt zu erreichen. Er benutzte den rechts von der Fahrbahn durch eine durchgehende Linie abgetrennten Geh- und Radweg und stieß dabei mit einem geradeaus fahrenden Nissan zusammen. Der seinerzeit 80-jährige Kläger wurden von der vorderen Stoßstange am Hinterrad getroffen und stürzte, dabei erlitt er Prellungen sowie Frakturen im Bereich seines Beckens.
Von der Fahrerin und deren ebenfalls beklagten Haftpflichtversicherung wollte der Radfahrer 20.000 Euro Schmerzensgeld und gut 500 Euro materiellen Schadensersatz – unter anderem für das beschädigte Pedelec. Ein Alleinhaftung für den Verkehrsunfall lehnte er ab. Das Gericht sah dies aber deutlich anders. Dies entschied auch letztlich das Oberlandesgericht Hamm und bestätigte damit das in der ersten Instanz gefällte Urteil des Landgerichts Essen.
Der Kläger habe die im Straßenverkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt, so das Gericht. Er habe versucht, ohne die gebotene Rückschau gleichsam blindlinks von dem rechts verlaufenden Radweg über die gesamte Breite der Straße hinweg in die gegenüberliegende Zufahrt einzubiegen. Um sich verkehrsgerecht zu verhalten, hätte der Kläger bis zum Einmündungsbereich der kommenden Straße fahren müssen. Dort hätte er die von ihm befahrene Straße im rechten Winkel überqueren müssen.
Mit diesem ungewöhnlichen Fahrmanöver habe der Kläger seine Absicht abzubiegen weder rechtzeitig angekündigt, noch auf den hinter seinem Rücken herannahenden Verkehr geachtet. Die Schrägfahrt führte in Effekt dazu, dass das elektrisch unterstützte Fahrrad auf der Straße in Sekundenbruchteilen ein breites, gefährliches Hindernis gebildet habe.
Zusätzlich brachte der Kläger noch sein hohes Alter mit ins Spiel, doch hierhin sah das Gericht keinen Grund, dass der Nissan-Fahrerin vorgeworfen werden könne, sich nicht auf das erkennbar höhere Alter des Klägers eingestellt zu haben. Ein Autofahrer muss sich grundsätzlich durch eine Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft so zu verhalten, dass einer Gefährdung von Kindern, Hilfsbedürftigen und älteren Menschen ausgeschlossen sei. Das erfordere allerdings nicht, so das OLG, dass jeder im Blickfeld eines Kraftfahrers erscheinende Verkehrsteilnehmer aus diesem Personenkreis ein sofortiges Herabsetzen der eigenen Geschwindigkeit zur Folge haben müsse.
Eine solche Reaktion ist nur erforderlich, wenn das Verhalten der Person oder die Situation, in der sie sich befindet, Auffälligkeiten zeigt, die eventuell zu einer Gefährdung führen könnte. Auch somit ist die Alleinhaftung des Radfahrers einwandfrei begründet.
Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 9.2.2016, AZ – 9 U 125/15 –