Erbrecht ist oft nicht einfach zu handhaben, denn es gilt – neben dem schriftlich vorhandenen Text eines Testaments – sicher auch immer den wirklichen Willen des oder der Erblassers zu erforschen. Was bedeuten kann, nicht nur an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Dieser Aufgabe kann der Richter nur dann voll gerecht werden, wenn er sich nicht auf eine Analyse des Wortlauts beschränkt. Der Wortsinn der benutzten Ausdrücke muss gewissermaßen hinterfragt werden, wenn dem wirklichen Willen der Erblasser Rechnung getragen werden soll.
So auch in dem zugrunde liegenden Fall, über der Bundesgerichtshof (BGH) im Juni 2019 entschied. Die kinderlose Erblasserin starb ein gutes Jahr nachdem ihr Ehemann verstorben war. Beide hatten viele Jahre zuvor handschriftlich ein gemeinschaftliches Testament erstellt, in dem sie sich gegenseitig als Alleinerben eingesetzt hatten. Weitere zehn Jahre später hatten sie folgenden Text angefügt: „Für den Fall eines gleichzeitigen Ablebens ergänzen wir unser Testament wie folgt: Das Erbteil soll gleichmäßig unter unseren Neffen bzw. Nichte [Namen] aufgeteilt werden.”
Eine der Nichten erhielt auf Antrag einen Erbschein, der die vier Nichten und Neffen als Erben zu je einem Viertel auswies. Die Cousine der Erblasserin hatte daraufhin gegenüber dem Nachlassgericht die Einziehung des Erbscheins angeregt und die Ansicht vertreten, die Testamentsergänzung sei keine allgemeine Schluss-Erben-Regelung, sondern betreffe lediglich den Fall des gleichzeitigen Versterbens der Eheleute.
Nach mehreren Instanzen bestätigte der Bundesgerichtshof die Ansicht des OLG Frankfurt, dass die vier Nichten und Neffen in der Testamentsergänzung nicht generell als Schlusserben eingesetzt worden sind: Der wirkliche Wille des Erblassers, der als Ergebnis der Testamentsauslegung zu ermitteln ist, muss in der letztwilligen Verfügung angedeutet sein, um letztendlich formwirksam erklärt zu sein.
Um dies zu klären, muss ein Richter alle ihm aus der mündlichen Verhandlung zugänglichen Umstände außerhalb der Testamentsurkunde heranziehen. Der Wille der Erblasser geht jedoch nur dann jeder anderen Interpretation, die der Wortlaut zulassen würde, vor, falls er formgerecht erklärt ist. Die Vorschriften über die Formen dienen insbesondere dem Zweck, den wirklichen Willen des Erblassers zur Geltung kommen zu lassen – nach Möglichkeit die Selbständigkeit dieses Willens zu verbürgen und die Echtheit seiner Erklärungen sicherzustellen. Die vorgeschriebenen Formen sollen mit dazu beitragen, verantwortliches Testieren zu fördern und Streitigkeiten über den Inhalt letztwilliger Verfügungen nicht unnötig zu fördern.
Wenn der (mögliche) Wille des Erblassers in dem Testament auch nicht andeutungsweise oder versteckt zum Ausdruck gekommen ist, ist der unterstellte, aber nicht formgerecht erklärte Wille des Erblassers daher nicht zu beachten. Und es gilt damit natürlich auch, dass eine Erbeinsetzung, die in dem Testament nicht enthalten und nicht einmal angedeutet ist, aufgeführten Zwecken nicht gerecht werden kann. Sie ermangelt der gesetzlich vorgeschriebenen Form und ist daher nichtig.
Ausgehend von dem allgemeinen für die Auslegung letztwilliger Verfügungen geltenden Grundsatz, dass nur dem Willen Geltung verschafft werden kann, der im Testament zum Ausdruck gelangt, müssen daher wenigstens gewisse Anhaltspunkte in der letztwilligen Verfügung enthalten sein. Ein bestimmter Wille ist nicht bereits dadurch im Testament angedeutet, dass dessen Wortlaut überhaupt auslegungsbedürftig ist und sich die generelle Willensrichtung aus dem Wortlaut herleiten lässt.
Wenn der agierende Tatrichter zu dem Ergebnis kommt, dass ein entsprechender Erblasser-Wille im Testament nicht zum Ausdruck komme, bedarf es keiner Aufklärung des unterstellten Vortrages. Die Aufgabe der Testamentsauslegung sei grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten. so das Bundesgericht. Seine Auslegung kann aber mit der Rechtsbeschwerde angegriffen werden, wenn sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln, allgemeine Denk- und Erfahrungsgrundsätze oder Verfahrensvorschriften verstößt. Nach diesem Prüfungsmaßstab ist für den BGH die Auslegung des OLG Frankfurt nicht zu beanstanden, dass der Testamentsurkunde keine Andeutung des Willens, die Nichten und Neffen generell als Schlusserben einzusetzen, entnommen werden kann.
Die Bestimmungen des Testaments ergeben weder einzeln noch in ihrem Zusammenhang einen entsprechenden Anhaltspunkt. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde musste das Beschwerdegericht der Bezeichnung als „unsere” Neffen und Nichte keine Andeutung einer generellen Schluss-Erben-Einsetzung entnehmen. Aus dem darin auch nach Ansicht des OLG Frankfurt zum Ausdruck kommenden Nähe-Verhältnis lässt sich nicht ableiten, unter welchen Bedingungen der nahestehenden Person etwas zugewendet werden soll. Die Bezeichnung deutet daher nicht an, dass entgegen dem Wortsinn von „für den Fall eines gleichzeitigen Ablebens” eine generelle Schluss-Erben-Einsetzung angeordnet wird.
Insgesamt hat das OLG Frankfurt einen grundsätzlichen Erblasser-Willen in seinem Urteil bereits unterstellt. Es hat lediglich die genannten Umstände in rechtlich nicht zu beanstandender Weise als nicht ausreichend im Sinne eines im Testament angedeuteten Erblasser-Willens erachtet.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19. Juni 2019; AZ – IV ZB 30/ 18 –